Quantencomputer werden Realität
Aktuell fließen große Summen an Geld in den Wissens- und Infrastrukturaufbau von Quantentechnologien. Um zwei Beispiele zu nennen: zwei Milliarden Euro im Rahmen des 2021 verabschiedeten Konjunktur- und Zukunftspakets des Bundeswirtschaftsministeriums, 15 Milliarden Dollar über die nächsten fünf Jahre verteilt in einem aktuellen Programm der chinesischen Regierung. Auch Wirtschaftsunternehmen wenden sich dem Thema zu – insbesondere, seit Quantencomputing-Kapazitäten immer leichter verfügbar sind und stetig neue Rekorde in der Leistungsfähigkeit aufgestellt werden. Und schließlich bieten große Cloud-Anbieter wie AWS (mit Amazon Braket) und Google bereits heute jedem ihrer Kunden die Möglichkeit, reale Quantencomputer selbst zu programmieren und zu nutzen.
Im Folgenden stellt unsere Mitarbeiterin Eva Ess (Projektleiterin in der Branche Automotive & Manufacturing) spannende Fragen an Thomas Klemm, unseren Experten für Quantencomputing, wie er das Potenzial dieser neuartigen Rechentechnologie einschätzt. Thomas Klemm engagiert sich in der msg-Gruppe für das Thema und berät Unternehmen zu Einsatzmöglichkeiten des Quantencomputings.
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Thomas Klemm
Business Development Automotive
Weitere Publikationen zu Quantencomputing folgen
Quantencomputing ist als „Game Changer“ durch das erwartete Zukunfts- und Wertschöpfungspotenzial in Wirtschaft und Politik in aller Munde. Wie stellen sich dazu Unternehmen wie BMW und VW derzeit auf dem Markt auf?
Unsere Kunden investieren ebenfalls, um von dem erwarteten gigantischen Wertschöpfungspotenzial zu profitieren. Volkswagen hat bereits vor gut fünf Jahren begonnen, sich intensiv damit zu beschäftigen, zum einen in ausgewählten Fachabteilungen, zum anderen durch die Gründung einer spezialisierten Tochtergesellschaft, der VW Data Lab. BMW ist letztes Jahr einen ähnlichen Weg gegangen und hat mit neun Partnerunternehmen das Konsortium QUTAC gegründet. Und natürlich ist das Thema auch bei BMW im Innovationsmanagement angekommen. Das zeigt die jüngste Crowd-Innovation-Challenge, die sich mit Einsatzmöglichkeiten des Quantencomputings beschäftigte, und in der wir uns eingebracht haben. Es tut sich also einiges.
Ist das nun einfach der neueste Hype? Was ist überhaupt das Besondere an dieser völlig „anderen“ Art des maschinellen Rechnens?
Nein, keinesfalls ist es „einfach nur der neueste Hype“. Es ist:
- eine andere Art des maschinellen Rechnens, wie du richtig sagst. Quantencomputing ist nicht einfach nur etwas schneller, sondern fundamental neu und darin anders, dass nicht mit einfachen Zahlen – mit Bits und Bytes – gerechnet wird, sondern mit quantenphysikalischen Zuständen. Die speziellen Eigenschaften der „Qubits“, die als Träger der Quanteninformation dienen, eröffnen grundsätzlich neue Zugänge zu bekannten, heute schwer oder gar nicht lösbaren Problemen, mit völlig neuen Arten an Algorithmen beispielsweise.
- liegt der Hauptunterschied zu heutigen Computern gerade in diesen Quantenalgorithmen. Ein Quantenalgorithmus kann dank der spezifischen Eigenschaften der Qubits alle möglichen Lösungen eines Problems gleichzeitig verarbeiten. Das führt zu einer enorm hohen rechnerischen Parallelität. Ein Beispiel: Wenn ich in einem Telefonbuch mit vier Millionen Einträgen eine bestimmte Telefonnummer finden will, dann muss ich in einem klassischen Algorithmus im Mittel zwei Millionen Telefonnummern lesen und mit der gesuchten Nummer vergleichen. Mit einem Quantenalgorithmus (dem bekannten Grover-Algorithmus) könnten dazu bereits gut 2.000 Schritte genügen.
- ergeben sich daraus völlig neue, mit Quantencomputing verknüpfte Hoffnungen. Wir denken über Problemstellungen nach, die für heutige Computer aufgrund ihrer Rechnerarchitektur extrem hohen Ressourceneinsatz erfordern oder gar innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne unlösbar sind. Die Hoffnungen sind durchaus begründet, mit Quantencomputing und ihrem grundsätzlich anderen Weg des Rechnens solche Probleme zu knacken – auch wenn wir auf dem Weg zu ihrer Erfüllung noch vor großen Herausforderungen stehen. Mit Blick auf die gegenwärtigen Fortschritte bin ich davon überzeugt, dass wir bereits innerhalb der nächsten zwei bis fünf Jahre eine Reihe von bahnbrechenden Anwendungen erleben werden. Wir sprechen hier übrigens auch noch von ganz anderen Anwendungen, die über das maschinelle Problemlösen hinausgehen, von Quantenteleportation oder Quantenkryptographie etwa, also dem abhörsicheren Übertragen von Informationen.
Zurück zum Rechnen: Wie kann man sich die Rechenweise eines Quantencomputers vorstellen, um die heutige Rechenleistung derart zu steigern
Dazu müssen wir ein wenig in die Mysterien der Quantenphysik eintauchen.
Ein Quantencomputer verarbeitet nicht wie ein heutiger Computer seriell eine Abfolge einzelner Zahlen (wie jede Art von Turing-Maschine), sondern arbeitet – wie gesagt – mit Quantenzuständen mikroskopisch kleiner Systeme. Wie du sicherlich noch aus dem Physikunterricht weißt, gibt es da solche Dinge wie die Heisenbergsche Unschärferelation, den Welle-Teilchen-Dualismus oder andere Schreckensbegriffe. Der Hintergrund davon ist: Solange ich ein Quantensystem nicht durch eine Messung nach seinem Zustand frage, kann es als Zustand eine beliebige Mischung aller möglichen Zustände annehmen. Mit dieser Mischung kann man dann „rechnen“, indem man physikalisch Einfluss nimmt, beispielsweise die für den Quantencomputer verwendeten Atome dreht (so ähnlich wie in einem Kernspintomographen). Erst nachdem man solche Operationen durchgeführt hat, misst man und zwingt damit das System, einen bestimmten Zustand, ein Ergebnis, anzunehmen. Hört sich ziemlich schräg an, und als vor ziemlich genau 40 Jahren Richard Feynman – einer der großen Physiker des 20. Jahrhunderts – den entsprechenden Vorschlag für derartige, äußerst komplexe physikalische Experimente machte, konnte man davon nur träumen.
Wo liegt denn konkret der Vorteil, mit Quantenzuständen zu rechnen (anstelle von „richtigen“ Zahlen)?
Der Quantencomputer arbeitet mit solchen gemischten Quantenzuständen. Mathematisch bedeutet das nichts anderes, als dass ich mit Linearkombinationen aus den „reinen“ Zuständen rechnen kann. In einem einzigen Rechenschritt werden dann alle möglichen Lösungen gleichzeitig prozessiert. Darauf beruht die enorme Parallelität, zu der ein Quantencomputer in der Lage ist.
Kleines Zahlenbeispiel: Wie komplex die Quantenzustände eines Quantencomputers sein können, hängt an der Zahl der erwähnten Qubits, mit denen er arbeiten kann. Das ist „einfach“ das Pendant zu den Bits normaler Rechner, weil ein Qubit zwei Quantenzustände besitzt (0 und 1 gewissermaßen). Nun kann ich mit 10 dieser Qubits 1.024 mögliche Werte in einer Rechnung gleichzeitig betrachten; bei 20 Qubits sind es bereits mehr als eine Million möglicher Werte! Heute steht man bei ca. 100 Qubits, nächstes Jahr will IBM die 1.000-Qubit-Marke brechen, am Ende des Jahrzehnts will man bei einer Million Qubits stehen. Das kannst du jetzt selbst ausrechnen, wie viele Lösungen damit gleichzeitig durchgerechnet werden können.
Quelle: https://www.fokus.fraunhofer.de/de/sqc/quantencomputing
Das ist jedenfalls der Grund für die hohe Parallelität des Quantencomputings, und warum nun Probleme in den Bereich der Lösbarkeit kommen könnten, die heutige Rechenkapazitäten bei weitem überfordern – insbesondere auch solche berüchtigten Probleme, die die Informatiker unter uns als „NP-schwer“ kennengelernt haben. Aber auch ein großer Teil der heute in e-Commerce, Kryptowährungen und elektronischer Kommunikation verwendeten Verschlüsselungsverfahren wäre damit angreifbar (weswegen sich auch so manche staatliche Behörde für Quantentechnologien interessiert).
Key Facts von Stephan Melzer, Executive Project Manager, msg
- Quantencomputing kann die IT wie keine andere Technologie revolutionieren, weil es ein fundamental neues Rechnen erlaubt.
- Quantencomputer werden in naher Zukunft für den industriellen Einsatz bereitstehen.
- Wenn in meinen Kernprozessen komplexe Algorithmen angewendet werden, ist es sinnvoll, bereits heute über mögliche Einsatzszenarien nachzudenken.
Genau den Anwendungen von Quantencomputing wollen wir uns in der Fortsetzung des Interviews widmen.
Nächste Interviews
Quanten-Computing – wie ist der Weg zum praktischen Einsatz und welche Hürden sind von Unternehmen zu überwinden? (Teil III)
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